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Verwaltungsgericht Sigmaringen: „Reichsbürgern“ darf nicht ohne Weiteres unterstellt werden, psychisch krank zu sein!

12/06/2013
reichsdeutsche_konferenz

Szene aus dem Film „Einer flog über’s Kuckucksnest“. Sollten auch „Reichsbürger“ psychiatrisch untersucht werden?

Im Januar sendete das MDR-Magazin „Exakt“ einen Bericht über „Tino Kirschenpfad“ der einen Bußgeldbescheid erhalten hatte, u. a. wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Vor Gericht erzählte der Thüringer dann, dass er DDR-Bürger bzw. „Reichdeutscher“ wäre, daher sei die Bundesrepublik Deutschland für ihn nicht zuständig. Die Folge war, dass man ihm auftrug, ein psychiatrisches Gutachten vorzulegen, das seine Fahrtüchtigkeit belegt. Weil er der Aufforderung nicht nachkam, wurde sein Führerschein eingezogen, sein Arbeitgeber kündigte ihm.

Es ist davon auszugehen, dass Tino Kirschenpfad von den Behörden in seinen Grundrechten verletzt wurde:

Allein aus politischen Äußerungen des Betroffenen gegenüber Behörden können sich grundsätzlich keine Bedenken gegen seine körperliche oder geistige Fahreignung im Sinne des § 11 Abs. 2 FeV ergeben. Dies gilt auch dann, wenn die politischen Äußerungen unausgegoren, abwegig und abstrus erscheinen.

Diese Feststellung findet sich auf der Seite www.anwalt.de, dort berichtet Rechtsanwalt Christian Demuth (Düsseldorf) von einem Fall, der an den des Tino Kirschenpfad erinnert:

Die Fahrerlaubnisbehörde hatte einem Mann die Fahrerlaubnis entzogen, nachdem dieser in einem gegen ihn gerichteten Verfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung der Bußgeldstelle schriftlich mitgeteilt hatte, er bezahle das […] von ihm erpresste Verwarnungsgeld letztmalig. Die Vorgehensweise der Stadt verletze ihn in seinen Menschenrechten, weil er hierdurch durch einen Nichtstaat, wie die sogenannte BRD einer sei, verfolgt werde. […] ein weiteres Schreiben an das Rechts- und Ordnungsamt und ein vierseitiger Anhang (waren) beigefügt. Die darin enthaltenen Betrachtungen zu komplexen staats- und völkerrechtlichen Fragestellungen, kommen zusammengefasst zum Ergebnis, dass die BRD rechtlich nicht existiert, dass ihre Gesetze ungültig und nichtig sind, dass sie dem Antragsteller gegenüber keine Hoheitsgewalt hat und dass er nicht Staatsbürger der BRD, sondern des Deutschen Reiches ist.

Der Mann legte sogar noch nach:

Wenig später hatte der Betroffene im Rathaus seiner Wohngemeinde eine Urkunde überreicht, mit der er erklärte, die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland vermutlich nicht zu besitzen. Seine wahrhaftige Staatsangehörigkeit sei die des Freistaats Preußen. Er verlange daher von der Staatsangehörigkeitsbehörde die Feststellung, dass bei ihm die Staatsangehörigkeit „Deutsch“ nicht bestehe.

Das Ergebnis war, dass das zuständige Verkehrsamt auch in diesem Fall die Beibringung eines fachärztlichen Gutachtens anordnete, auszustellen von einem Psychiater. Den Äußerungen des Betroffenen könne eine gesundheitliche Störung zugrunde liegen, so vermutete man. Wie zuvor Tino Kirschenpfad reichte auch dieser „Reichsbürger“ das angeforderte Gutachten nicht ein, und auch ihm wurde daraufhin der Führerschein entzogen – er möge das Dokument umgehend der Behörde aushändigen. Für den Fall der Verweigerung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 450 EUR angedroht.

Die selbst ernannten Reichsbürger erkennen das deutsche Rechtssystem nicht an, dennoch sind sie bekannt dafür, dass sie den Rechtsweg voll ausschöpfen, und nicht selten beantragen sie Prozesskostenhilfe. Auch dieser Reichsbürger ließ sich von seiner eigenen Grundeinstellung nicht stören – er legte Widerspruch ein. Mit Erfolg:

Das zuständige Verwaltungsgericht Sigmaringen entschied, dass eine rechtliche Grundlage für die Abgabe des Führerscheins sowie die Zahlung des festgesetzten Zwangsgelds nicht gegeben war.

Die Richter kamen zu dem Ergebnis, dass der Betroffene korrekt handelte, als er das angeforderte Gutachten nicht abgab. Zwar gilt grundsätzlich:

Wenn sich der Betroffene weigert, sich untersuchen zu lassen, oder das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht fristgerecht beibringt, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung schließen (§ 11 Abs. 8 Satz 1 FeV).

Aber:

Der Schluss auf die Nichteignung ist jedoch nur zulässig, wenn die Anordnung des Gutachtens formell und materiell rechtmäßig, insbesondere anlassbezogen und verhältnismäßig ist. In formeller Hinsicht muss die Aufforderung im Wesentlichen aus sich heraus verständlich sein, und der Betroffene muss ihr entnehmen können, was konkret ihr Anlass ist, und ob das in ihr Verlautbarte die behördlichen Zweifel an der Fahreignung zu rechtfertigen vermag.

Und genau das lag hier (wie vermutlich auch im Fall Tino Kirschenpfad) nicht vor. Rechtsanwalt Christian Demuth führt folgerichtig aus:

Die Anordnung bezieht sich auf politische Meinungsäußerungen und damit nicht auf Mängel, die bei vernünftiger, lebensnaher Einschätzung die ernsthafte Besorgnis begründen, dass der Betroffene sich als Führer eines Kraftfahrzeugs nicht verkehrsgerecht und umsichtig verhalten wird. Die […] zum Ausdruck gebrachten, rechtlichen und politischen Ansichten geben auch keinen hinreichenden Anlass zur Annahme, dass der Verfasser an einer seine Fahreignung ausschließenden Geisteskrankheit leiden oder aus sonstigen, insbesondere charakterlichen Gründen nicht mehr zur Befolgung von Verkehrsregeln in der Lage sein könnte.

Für jene, die die „reichsdeutsche Szene“ kritisch betrachten, mag das Urteil aus Sigmaringen enttäuschend oder sogar irritierend sein. Dennoch handelt es sich um eine korrekte Rechtsauslegung, denn die Bundesrepublik Deutschland ist ein freies Land, in welchem auch völlig abstruse und weltfremde Meinungen zulässig sind. Der Betroffene hatte gegenüber den Behörden rechtlich und politisch nicht haltbare Stellungnahmen, die Bundesrepublik Deutschland betreffend, abgegeben. Aufgrund dessen durfte man jedoch nicht kurzerhand ein psychiatrisches Gutachten von ihm verlangen. Ein Attest, das er im Übrigen selbst hätte bezahlen müssen.

Reichsdeutscher Busfahrer

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Wäre eine derartige Handhabung rechtmäßig, müsste sich jeder Führerscheinbesitzer, der an Ufos oder Channelmedien glaubt, psychiatrisch untersuchen lassen. Ebenso Wünschelrutengänger oder Mitglieder obskurer Sekten. Wenn die Fahrerlaubnisbehörde davon ausgeht (und das war der Fall), dass der Betroffene sich aufgrund seiner Ansichten zukünftig nicht an die Straßenverkehrsordnung halten wird, so hat sie die Möglichkeit, dies im Rahmen einer Feststellungsklage klären zu lassen. Auch hier kann am Ende der Entzug des Führerscheins stehen.

Dennoch wählte die Behörde den einfachen Weg – sie verlangte vom Betroffenen, sich um ein Gutachten zu kümmern. Doch damit verletzte sie ihn in seinen Rechten:

Die Ansichten mögen unausgegoren, abwegig und abstrus erscheinen. Sie stellen aber ohne das Hinzutreten weiterer Anhaltspunkte kein hinreichendes Indiz für das Vorliegen hirnorganischer oder sonstiger psychiatrischer Störungen oder charakterlicher Mängel dar.

Folgerichtig stellte das Gericht fest:

[…] Der […] Widerspruch wird voraussichtlich Erfolg haben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist insofern wiederherzustellen.

Es ist zu erwarten, dass die Reichsdeppen derartige Beschlüsse dahingehend bewerten werden, dass ihre bizarre Theorie von der „Weiterexistenz des Deutschen Reiches“ und der „Nichtexistenz der Bundesrepublik Deutschland“ richtig sei. Doch das Recht auf freie Meinungsäußerung, das unsere Verfassung, das Grundgesetz, garantiert, geht vor.

VG Sigmaringen, Beschl. v. 27.11.2012, 4 K 3172/12
Alle gekennzeichneten Zitate stammen aus diesem Artikel: http://www.anwalt.de/rechtstipps/fahrerlaubnisentziehung-wegen-ungewoehnlicher-politischer-aeusserungen_043841.html

5 Kommentare
  1. Paulus Spätfeld permalink
    03/07/2013 23:43

    Also ich finde das fragwürdig. Sicher, darf man in einem Rechtsstaat niemanden den Führerschein entziehen, weil er eine beknackte Meinung vertritt, ABER: Wer die Straßenverkehrsordnung nicht anerkennt und ablehnt Bußgelder zu bezahlen, weil er sich ja nicht an Verkehrsvorschriften halten bräuchte, der sollte doch nicht mehr fahren dürfen! Auf jeden Fall finde ich es berechtigt mal zu prüfen, ob die geistige Klarheit zum Fahrzeugführen noch ausreicht.
    Und um mal Dein Beispiel aufzugreifen, Leute die an UFOs und Geister glauben, sind im Gegensatz dazu nicht automatisch eine Gefahr im Straßenverkehr.

    • N. N. permalink
      25/04/2016 16:34

      https://de.wikipedia.org/wiki/Fahreignung

      Fahreignung umfasst die körperliche, geistige und charakterliche Eignung von Kraftfahrzeugführern.

      In Anbetracht einer der Behörde schriftlich eingereichten Weigerung, sich an die Gesetze der Bundesrepublik zu halten, zu denen bspw. die Straßenverkehrsordnung und die Regelungen zu den Lenkzeiten gehören, sind die charakterlichen Voraussetzungen, die man notwendig an einen in der gewerblichen Personenbeförderung tätigen Kraftfahrzeugführer stellen muß, nicht gegeben. Ihm gehört zumindest die Personenbeförderungserlaubnis entzogen. Wenn sich das Busunternehmen nicht von einem solchen Mitarbeiter trennt, darf es nicht mit der Leistungserbringung im ÖPNV beauftragt werden.

      Freilich ist es Dummheit, einen Fahrerlaubnisentzug ausschließlich mit abstrusen politischen Ansichten zu begründen. Wer so etwas macht, erweist sich selbst als fachlich ungeeignet für seine Arbeitsaufgaben.

  2. Holperbald permalink
    22/04/2015 19:05

    Das ist der Punkt.

    Ebenso der Herr Sommer, der seine Leser auffordert, ohne Führerschein zu fahren.

    http://sommers-sonntag.de/?p=16345

    Nichtsdestotrotz ist das der Beleg, dass die Bundesrepublik ein Rechtstaat ist. Was die Reichsbürger ja mal gar nicht wahrhaben wollen.

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